Brief von Özgül Emre

Dieser Brief wurde von Özgül Emre kürzlich von der JVA Rohrbach an ihren Anwalt geschickt und vom Türkischen ins Deutsche übersetzt. Sie beschreibt die Foltermethoden der Gefängnisbehörden, die ihr keine sanitären Bedingungen und keine Privatsphäre gewähren.

„Wie geht es dir? Wie geht es euch? Mir geht es aufgrund meiner Gewissheit, im Recht zu sein- trotz der politischen und juristischen Belagerung gegen mich- sehr gut. Der Prozess gegen mich, sowie meine Inhaftierung sind aus meiner Sicht unrechtmäßig und auch entgegen der Gesetze. Obwohl mein Wohnort bekannt ist und obwohl ich noch am Tag meiner Verhaftung einen Termin in einer Behörde hatte, wurde so getan, als könnte man mich nicht finden, als würde ich nie in meine Wohnung gehen und so wurde ich auf Grundlage von Lügen auf offener Straße entführt. Es wurde bezweckt, mich als Schuldige darzustellen. Denn anders hätten sie meine Verhaftung und die Untersuchungshaft nicht begründen können. Der Prozess gegen mich hätte auch ohne Untersuchungshaft stattfinden können.

So wurde ich also verhaftet. Ich wurde verhaftet, weil ich den Völkern in der Türkei und auf der ganzen Welt die Wahrheiten übermittelte. Auf der einen Seite musste diese Wahrheit verhindert werden, gleichzeitig musste meine Identität, meine Persönlichkeit erniedrigt werden. Auch musste an denen, die am antifaschistischen und antiimperialistischen Kampf teilnehmen, ein Exempel stautiert werden. Sie sagen: „Wenn ihr am demokratischen Kampf gegen den Faschismus teilnehmt, könnt auch ihr so enden. Dabei spielt es keine Rolle, ob ihr Journalisten oder sonst etwas seid.“

Aber weder meine revolutionäre Identität, noch der Kampf für Rechte und Freiheiten kann durch Repressionen und Verhaftungen verhindert werden. Direkt nach meiner Verhaftung wurde das türkische Konsulat in Mainz kontaktiert. Kannst du dir das vorstellen? Und obwohl ich keinen Kontakt zu dieser Institution wollte, wurde ich gefragt, ob ich Interesse daran habe.

Der Staatsanwalt hat die für mich vorgesehene Haftanstalt ausgesucht und der Haftrichter hat diese Einrichtung akzeptiert. Ich wurde in einem Gefängnis, fernab von meinem Wohnort und selbst fernab von dem Ort, an dem man mich verhaftete, untergebracht. Ein Gefängnis, welches du, wenn du kein Auto hast, nicht erreichen kannst. An einem Ort, der niemandem ein Begriff ist. Welch Zusammenarbeit gegen eine revolutionäre Journalistin, eine Frau, die kein anderes Interesse außer dem Kampf gegen den Faschismus hat. Was ist der Grund für diesen Hass? Natürlich ist die Antwort auf diese Frage kein Geheimnis für mich. Erst recht nicht nach allem, was ich bis hierhin erlebt habe. Die Angriffe begannen schon am Tag meiner Inhaftierung, als man mir, entgegen meiner ausgedrückten Ablehnung, Anstaltskleidung aufgezwungen wurde. Ich sagte: „Ich sterbe lieber, als dass ich Anstaltskleidung trage“ und führte einen Kampf in Form des Todesfastens, welches am 44.Tag mit der Aushändigung der vom Gefängnis an mich verkauften zivilen Klamotten ein Ende fand. Das Todesfasten, welches ich begann, führte aus meiner Sicht zu einem Erfolg, da ich meine Kleidung erhalten habe. Ich möchte nun erzählen, wie 42 der insgesamt 44 Tage meines Widerstands verlaufen sind, was für einen Widerstand ich letzendlich geführt habe.

 

Als Frau, vor allem mit meinem kulturellen Hintergrund, war es schwierig, in Unterwäsche vor andere Menschen zu treten. Anfangs habe ich versucht, meinen Oberkörper mit einem Handtuch und meinen Unterkörper mit einer Wolldecke zu verdecken (Ich trug eine enge, kurze Unterhose). Die Essensvergabe wurde von männlichen Gefangenen in Begleitung von männlichen Beamten durchgeführt. Wenn ich mich aufrichtete, um mir ein Getränk zu nehmen, war mir dies natürlich unangenehm. Aber letztendlich war dies eine politische Haltung und ich befand mich im Widerstand. Die eigentliche Scham sollten die fühlen, die mich in diese Situation gebracht haben. Die Tage vergingen und nach einiger Zeit habe ich es gelassen, mich mit Handtüchern und Decken zu bedecken. Ich war vor lauter Schmerzen und Kraftlosigkeit nicht mehr in der Lage, mich um diese Dinge zu sorgen. Selbst die Ausgabe von Zucker und Salz, welches im Hungerstreik dringend notwendig ist, wurden zum Teil der Repressionen gegen mich. Abends nahm ich lediglich einen leicht gesüßten Tee zu mir. Es gab Tage, da haben sie selbst diesen Tee „vergessen“. Meine Forderung nach Zucker wurde wegen gewissen, anderen Bedenken (was hätte ich schon machen können? Ich rauche nicht, habe also kein Feuerzeug oder sonstiges besessen) abgelehnt. Auch meine Forderung nach Salz wurde auf dieselbe Weise abgelehnt. Trotz meiner mehrmaligen und ausdrücklichen Erklärversuche hieß es, man würde dies bei einem Hungerstreik nicht nehmen können. Ich habe daraufhin geantwortet, dass es mir nicht wichtig ist, ob ich Salz und Zucker bekomme. Ich würde meinen Widerstand auch fortsetzen, wenn sie mir das Trinkwasser verbieten würden. Später haben sie auf Druck und Proteste von draußen einen Rückzieher gemacht. Aber an diesem Punkt war das nicht mehr ausschlaggebend, da meine Flüssigkeitszufuhr auf ein bis zwei Kaffetassen zu je 100 ml zurückgegangen war und selbst die habe ich gegen Ende meines Widerstands durch Erbrechen ausgespuckt. Der Körper hat die Flüssigkeitszufuhr zunehmend abgewiesen.

Ich war im untersten Stock. Die Fenster wurden mit einem weißen Material undurchsichtig gemacht. Lediglich Sonnenlicht fiel in die Zelle. Das Fenster, das kaum breiter als meine durchaus kleinen Hände war, hatte oben kleine Löcher, vielleicht so groß wie eine Bohne, durch die Luft und Sonnenlicht versuchte, seinen Weg in meine Zelle zu erkämpfen. Dieses Fenster war immer geöffnet, trotzdem war meine winzige Zelle niemals wirklich durchlüftet.

Zum Hofgang, also ans Tageslicht, durfte ich nicht, da ich die Anstaltskleidung nicht tragen würde. Diese 42 Tage nahmen erst ein Ende, als ich für den Krankenhaustransport in einen Polizeiwagen gezerrt wurde. Ich befand mich in einem kleinen Raum, in dem die Toilette unmittelbar neben mir stand und ich durchgehend per Kamera „überwacht“ wurde. In einem menschenunwürdigen Raum und unter menschenunwürdigen Verhältnissen. Am Anfang konnte ich die Toilette noch mit Hilfe eines Rollstuhls erreichen, aber später wurde auch das zu schwer für mich. Auch als ich es noch hinbekam, entstanden an meinen Beinen ständig Blutergüsse. Ich denke die kamen davon, dass ich mich zu sehr an den Stuhl lehnen musste. Wie bereits erwähnt: Menschenunwürdige Verhältnisse. Was haben sie eigentlich überwacht, als ich mich vor der Kamera unter Schmerzen übergeben musste? Sie kamen nicht einmal zur Hilfe. Was sollte „überwacht“ werden und weshalb? Auch das war nichts anderes als eine Form der Folter.

Und auch wenn ich keinen einzigen angenommen habe, haben die Angestellten ständig Essensteller auf meinem Tisch aufgestellt. Sie wurden so angewiesen! (Es kamen v.a. männliche Wärter in mein Zimmer). Sie haben diese Essensteller auch nicht wieder mitgenommen. Dachten sie etwa, ich werde schwach und das Essen anrühren? Dieses Verhalten sollte erreichen, dass mein Wille gebrochen wird. Jedoch hat es nicht etwa dazu geführt, dass mein Wille bricht, oder dass ich das Verlangen bekomme, diese Dinge zu essen. Im Gegenteil: Je mehr sie brachten, desto schlechter wurde mir und desto stärker wurde mein Wille. Ihr könnt euch vorstellen, dass mit diesen Tellern die Luft fast unausstehlich schlecht wurde. Ich musste mich schon vor meiner Verbringung ins Krankenhaus ständig übergeben, mit diesen Tellern wurde alles nur noch schlimmer. Nach einer Weile nahm die Galle in meinem Auswurf zu. Ich habe kleine Handtücher benutzt, um damit zurechtzukommen.

An das Waschbecken über der Toillette kam ich nicht mehr an und obwohl ich ständig per Kamera überwacht wurde, kam in dieser Anstaltsklinik niemand zur Hilfe, wenn ich mich übergeben musste. Deshalb übergab ich mich entweder auf mich selbst, oder auf den Boden. Sie gaben mir nichts, um den Boden zu wischen. Am Anfang habe ich den Boden, die heruntergefallenen Haare und den Staub mit Toilettenpapier aufgewischt, aber gegen Ende fehlte mir dazu die Kraft. Auf dem Boden sammelte sich Staub und meine Haare, auf dem Tisch stapelten sich dreckige Handtücher. Dazu muss ich noch sagen: Auch wenn meine Klinikzelle relativ sauber war, als ich dorthin verschleppt wurde, klebten an der Wand kleine Stücke, ich nehme an es waren Essensreste, deren Anblick einem auf Anhieb Übelkeit brachte. Es war eine Zelle für Drogenabhängige und solche, die eine Entzugskrise erleiden. Das schließe ich daraus, dass spät Nachts und früh Morgens hörte ich Schreie, Schläge gegen Türe und Wände sowie Geräusche von weinenden Frauen.

Meine kleine Zelle. Genannt wurde sie Krankenstation. Für mich (und für jeden Menschen ganz egal, weshalb er eingesperrt ist) war es jedoch nichts anderes als eine Isolations- und Folterzelle. Keine Hygiene, die Luft hat fast schon Angst, durch die viel zu kleinen Öffnungen durchzudringen. Den Tag- und Nachtwechsel erkennt man lediglich durch das bisschen Licht, dass schwerlich den Weg in die Zelle findet. Solch eine Zelle, die selbst für eine gesunde Person unzumutbar ist, war für mich, die ich auf Hilfe im fortgeschrittenen Stadium meines Hungerstreiks angewiesen war, ist nichts weiter als Folter und Boshaftigkeit. Kann es etwas anderes sein? Ich wurde dort nicht etwa für einen Tag oder eine Woche gehalten, sondern fast einen ganzen Monat…

Natürlich sagten sie, dass sie sich „um mich sorgten!!!“ Aber worum eigentlich? Dachten sie an die von den Nazis ermordeten Völker? Es waren nutzlose Menschen, die hingerichtet wurden, weil sie den Nazis zufolge das Volk und die Welt verdreckten. Ich zumindest habe in dieser Zelle viel daran gedacht. „Krankenstation“, Folterzimmer, Gaskabine. Natürlich dachte ich daran. Gaskammern können sie nicht mehr einrichten, aber die große, furchteinflößende Unmenschlichkeit hielt an. Die Gesinnung ist ähnlich. Heute sterben sie nicht mehr auf einmal, sondern durch Folter und verlängert auf mehrere Tage. Die modernisierte Form. Ich habe das Tagebuch von Anne Frank gelesen. Ich lese also von einem kleinen Mädchen, wie sie sich vor den Nazis versteckt, entdeckt wird, die Brutalität der Nazis. Ich erlebe ähnliches in unserer modernen Welt, in Deutschland. Eine Antifaschistin, nein sogar Sozialistin, die gegen Hunger und Elend, Ungerechtigkeiten, für Brot und Gerechtigkeit kämpft, war für diese Menschen nutzlos. Ich war für diese Menschen lediglich ein Verlust von Zeit und Geld. Und als wenn das nicht reichen würde, wurde ich mit meinem Widerstand auch noch zu einem „lästigen Problem“. Sie wollten meine Persönlichkeit und meine Identität zermürben. Mein Recht auf einen Prozess ohne Untersuchungshaft wurde unterschlagen, ich wurde in eine vorher abgestimmte JVA verbracht und das Mainzer Konsulat wollte mich unverzüglich besuchen. Für alles, jede noch so kleine Angelegenheit, brauchte ich eine richterliche Erlaubnis. Von dort gingen die Anträge an die Anstalt. Jeder Antrag zieht sich also über Monate hin. Ich habe bis jetzt, außer mit meinem Anwalt, keine Telefongespräche geführt. Erst nach 2 Monaten habe ich den ersten Besuch bekommen. Der Antrag für Bücher und Zeitschriften wurde erst nach 2 Monaten bewilligt. Trotzdem habe ich bis heute kein einziges Buch von draußen erhalten. Ich besitze jedoch die Würde und den Stolz, gegen all diese Ungerechtigkeiten Widerstand geleistet zu haben.

Ich weiß, dass ich legitim und im Recht bin. Antifaschismus und Antiimperialismus ist kein Verbrechen, sondern eine natürliche Menschheitspflicht und es liegt auf der Hand, wer die wahren Verbrecher sind. Meine Erlebnisse so unmittelbar am Beginn meiner Gefangenschaft sind ein weiteres Beleg dafür. Ich habe verstanden, dass kein juristisches, sondern ein politisches Verfahren auf mich wartet. Von dir, von euch möchte ich, dass ihr mich in meinem Kampf für Freiheit nicht alleine lasst. In meiner Person soll nämlich der antifaschistische, antiimperialistische Kampf verurteilt werden.

In meiner Person soll der Kampf gegen Drogen-, Glücksspiel und jede Andere Form der Sucht, verurteilt werden.

In meiner Person soll der Kampf gegen Rassismus und Polizeigewalt verurteilt werden. Ich möchte deshalb, dass ihr all das, was ich hier beschrieben habe, an eine breite Öffentlichkeit tragt. Auch im Gefängnis werde ich nicht aufhören, die Wahrheit zu schreiben und die Rechte der unterdrückten Völker einzufordern.

Genauso, wie ihr die Stimme meines Todesfastens nach draußen getragen habt und ich dadurch meine Rechte erkämpft habe und immernoch lebe, so werde ich auch meine Freiheit einzig auf diesem Wege erlangen. Das Komplott, dass gegen mich geschmiedet wurde, werde ich nur so beseitigen können.

Ich fordere Gerechtigkeit! Die wahren Kriminellen, die die Kinder ermorden und anschließend ihre Mütter ausbuhen lassen, die wahren Terroristen müssen öffentlich gemacht werden. Und wenn jemand eine Strafe erhalten soll, dass sie.

Ich beende meinen Brief fürs Erste.

BIS BALD!

Özgül EMRE

18.8.2022

PS: Im Nachhinein habe ich Gefangene mit ihrer eigenen Kleidung gesehen. Das heißt: Es geht doch. Gefangene, die auf ihre Entlassung warteten, konnten wochenlang mit ihrer Kleidung verbringen. Das bedeutet, dass obwohl ich im Sterben lag, der BGH meine Klamotten mutwillig zurückgehalten hat. Ich hätte diese Kleider zumindest so lange haben können, bis die von der Anstalt bestellten und verspäteten Kleider ankommen. Mein Anwalt hatte das vorgeschlagen, aber auch das wurde abgelehnt. Ich habe auch außer meiner Essensverweigerung keine Probleme mit Beamten oder anderen Gefangenen gehabt. (Selbst wenn, wäre das kein Grund, mir das alles anzutun)!“